Als die Mandschus im Jahre 1644 der Ming-Dynastie ein Ende setzten, erzielten sie nicht nur einen militärischen Sieg, sondern landeten auch einen Coup im Bereich der Mode. Ursprünglich ein Mandschu-Kleid, überlebte der Ch'i-p'ao bis heute als ein charakteristisches Kennzeichen chinesischer Mode. Seine wesentlichen Designelemente - Brokatstoffe, ein enganliegender, hochstehender Kragen, der vorne einen Schlitz hat, kunstvolle Stickereien, fein gearbeitete, mit Satin bezogene Drahtspangen und hohe Seitenschlitze - tauchen weiterhin in der Welt der Mode auf.
In den ersten Jahren der Ch'ing-Dynastie (1644-1911) weigerten sich die Chinesen jedoch, die Tracht ihrer mandschurischen Eroberer zu tragen. Viele Männer und Frauen standen dem erzwungenen Wechsel des Kleidungsstils verächtlich gegenüber und weigerten sich, die Tracht der Ming aufzugeben. Für diese waren Gewänder charakteristisch, die in der Länge von den Hüften bis zu den Knien gehend variierten, vorne eine Knopfleiste und fließende, zum Handgelenk sich weitende Ärmel hatten. Die Ärmelmanschette war etwa 35 cm weit. Unter diesen Gewändern trugen die Männer locker geschnittene Hosen mit Stoffgürteln und die Frauen entweder gefältelte oder geraffte, weite Röcke, deren Säume oft bis auf den Boden gingen.
Die Schriftzeichen für Ch'i-p'ao (旗袍) bedeuteten "Banner-Kleid", vermutlich nach dem vielfarbigen System von Bannern, das die Mandschu-Armee zur Gliederung ihrer acht Divisionen benutzte. "Aus diesem Grund nennen wir die Mandschus Banner-Leute und die Kleider ihrer Frauen Banner-Kleider", bestätigt Yang Chen-kuei (楊成貴), der am Shih Chien-Kolleg für Hauswirtschaft traditionelle Schneiderkunst unterrichtet. Yang ist der Direktor des Nationalen Verbandes für Trachten, einer 1975 gegründeten Organisation von mehreren hundert Mitgliedern, darunter Schneidermeister, Hersteller und anerkannte Fachleute für chinesische Kleidung. Ziel des Verbandes ist die Bewahrung traditioneller chinesischer Bekleidungsweisen.
Die Gewänder aus der Ch'ing-Zeit, für sowohl Frauen als auch Männer, sahen tatsächlich wie vier Stücke Fahnentuch aus, die vorne, hinten und an den Seiten zusammengenäht wurden. Im Kniebereich öffneten sich die Stücke zu einem Schlitz, und wenn man darin umherging, dann flatterte der untere Teil des Gewandes wie eine Flagge. Darunter trugen Männer wie Frauen lose geschnittene Hosen mit weiten Aufschlägen. Yang zufolge war das Tragen der Mandschu-Kleider dem Volk der Han derart zuwider, daß nicht wenige Loyalisten unter ihnen es nicht bei der Beteuerung "Lieber sterben als sowas anziehen" beließen, sondern bitteren Ernst machten und ihr Leben hingaben.
Angesichts solch heftiger Opposition gegen den Kleidungsstil der Mandschus ließen sich die neuen Herrscher über China zu einem Kompromiß herbei: Chinesinnen durften die aus der vorherigen Ming-Dynastie vertrauten Gewänder und Röcke tragen, allerdings mit beträchtlich engeren Ärmeln. Die Männer der Han mußten zu ihren Lebzeiten die Mandschu-Tracht tragen, jedoch mit 13 bis 16 cm engeren Ärmelmanschetten; es war ihnen aber gestattet, sich in vollem Ming-zeitlichem Festtagsstaat bestatten zu lassen.
Nunmehr nicht mehr unter dem Druck, ihren Patriotismus bezeugen zu müssen, begannen modebewußte Chinesinnen, den Chi'i-p'ao zu tragen, sofern sie die Zustimmung ihrer Ehemänner und Söhne erhielten. Seine zunehmende Beliebtheit hing wohl weitgehend damit zusammen, daß dieses Kleid mit seiner dezenten Linienführung, den eleganten Verzierungen und der sinnlichen Wirkung praktisch war, attraktiv aussah und mit der herrschenden Schicht und den Reichen identifiziert wurde. Die Frauen vornehmer Familien besaßen Ch'i-p'ao aus Seide und Brokat, während Frauen in weniger begüterten Verhältnissen solche aus bestickter Baumwolle und verschiedenen Leinen trugen. In das Tuch und die Stickereien auf dem Kleid waren entweder ein sich wiederholendes oder aber mehrere schimmernde Symbole eingearbeitet. Orchideen beispielsweise standen für Anmut und Vornehmheit, die Pflaume für Beharrlichkeit und der Pfau für ein glückliches Leben. Während Farben wie das glücksverheißende Rot oder Ming-Blau sich großer Beliebtheit erfreuten, war Gelb der kaiserlichen Familie vorbehalten.
Ein Schneider brauchte mehrere Monate, um einen kunstvollen Ch'i-p'ao anzufertigen. (Reiche Familien hatten unter ihrem Hauspersonal oft einen Schneider samt seinem Lehrling.) Filigrane Stickerei zierte Kragen, Oberteil und die Manschetten an den Ärmeln. Gestickte Motive zogen sich auch am Saum und an dem Schlitz entlang, der auf einer Seite das Bein vom Knie abwärts enthüllte. Für den Winter gedachte Ch'i-p'ao waren manchmal aus Wolle, doch meistens aus pelzbesetzter Seide oder Satin. Das Kleid wurde, je nach sozialem Status und Reichtum seiner Trägerin, durch kunstvollen Haarschmuck ergänzt: in dem meist zu einem flachen Knoten gebundenen Haar trug man Spangen und Nadeln aus Gold, Silber oder Perlmutt, die oft noch mit Korallen, Jadestücken, Edelsteinen und Anhängern verziert waren.
Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen - die Ausbildung zum Ch'i-p'ao-Schneider nimmt Jahre der Lehre in Anspruch.
An den Füßen trugen die Frauen bestickte "Blumenvasen"-Schuhe. Bei dieser besonderen Form, die darauf abzielte, Haltung und Gang einer Frau verführerischer erscheinen zu lassen, war an der Mitte eines jeden Schuhs ein knapp acht Zentimeter hoher hölzerner Sockel angebracht. Die Ferse war oft mit einem weißen Stoffband fest mit dem Schuhwerk verbunden, das manchmal noch bestickt war oder eingelegte Verzierungen hatte.
Im Gegensatz zu den Mandschu-Herrschern überstand der Ch'i-p'ao die Aufstände, die der Ch'ing-Dynastie ein Ende setzten. Doch paßte er sich im weiteren Verlauf den wechselnden Zeiten an. Beispielsweise 1925, im Todesjahr von Sun Yat-sen, erklärte die Nationalregierung zwei Bekleidungsarten zur Nationaltracht für Frauen: einen wollenen Ch'i-p'ao in gemessenem, schlichtem Blau und ein Ensemble mit blauem Jacket kombiniert mit einem schwarzen, bis zu den Fußknöcheln reichenden Faltenrock. Allmählich verblaßte die gedankliche Verbindung des Ch'i-p'ao mit den Mandschus. Während die Männer ihre Gewänder mit den hochaufgestellten Kragen gegen westliche Anzüge austauschten, trugen die Frauen weiterhin dieses Kleid.
Im Jahre 1964 machte dann Wang Yu-ching (王宇清), Professor für Geschichte der Nationaltracht an der Katholischen Fu Jen-Universität in Taipei und ehemaliger Direktor des "Nationalen Geschichtsmuseums", den Vorschlag, das Schriftzeichen für Ch'i, "Banner", in Ch'i-p'ao zu ändern. Aussprache und Ton des neuen Schriftzeichens (祺) sind dieselben, aber seine Bedeutung ist "Friede und glückliches Leben". Das war die endgültige Trennung von den Mandschus. "Aus archäologischen Funden und alten Wandgemälden können wir ersehen, daß chinesische Frauen einteilige Kleider getragen haben, lange bevor die Mandschus den Ch'i-p'ao nach China brachten", rechtfertigt Yang.
Der Ch'i-p'ao ging mit der Zeit und paßte sich den mit den Generationen wechselnden Moden an. Der Saum rutschte immer höher, von den Fußknöcheln zu den Waden, bis er schließlich nur knapp die Knie bedeckte. Bis zum Beginn der Ära der Republik im Jahre 1911 waren die Ärmel immer lang gewesen und reichten bis zu den Handgelenken. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg waren auch kurzärmelige und ärmellose Ausführungen zu sehen. Zu dieser Zeit war das Kleid mit nunmehr zwei Seitenschlitzen, die sich bis zu acht Zentimeter über den Knien öffneten, auch verführerischer geworden. Und schließlich war der Ch'i-p'ao so eng geschnitten, daß er präzise jeder Kurve, jeder Hebung und Senkung des Körpers folgte.
Wie jeder andere Modeklassiker bleibt ein Ch'i-p'ao ein Ch'i-p'ao, ungeachtet der Länge des Kleides oder seiner Ärmel, wie eng oder "lose" er sich um den Körper schmiegt, wie hoch der Schlitz geht oder wie auch immer seine Verzierungen gestaltet sind. Die Regale der Kaufhäuser sind mit einer breiten Auswahl gefüllt. Obwohl es bei den Details Abweichungen gibt, so bleibt doch die Silhouette der durchgehenden Linie bestehen. Die Preise sind ebenso unterschiedlich, mit 60 US$ für einen schlichten, wollenen bis zu mehr als 1200 US$ für kunstvollere Ausführungen.
Doch sind die Glanztage des Ch'i-p'ao vorbei, und wenige Frauen unter Dreißig denken auch nur daran, einen zu kaufen. Es ist ein Modestil, den sie für gewöhnlich mit älteren Frauen assoziieren. "Meine Mutter trägt sie ziemlich oft", berichtet die 27jährige Bankkauffrau Virginia Fang. "Ich habe nicht mal einen. Er ist zu formell und zu teuer, und ich habe wirklich keine Gelegenheit, ihn anzuziehen. Vielleicht werde ich in zehn oder zwanzig Jahren mal einen anprobieren."
"Wir brauchen eine moderne Nationaltracht!" Mit dieser Parole im Hinterkopf entwickelt Tsai Meng-hsia ihre modernen Ch'i-p'ao-Modelle, die dem aktivitätsbetonten Alltag der Frauen von heute entsprechen.
Es ist richtig, daß der Ch'i-p'ao eher bei formellen Anlässen wie Verlobungen, Heiraten und Neujahrsfeiern zu sehen ist. Er ist so unalltäglich geworden, daß es einen großen Unterschied zwischen den beiden Frauentypen gibt, die ihn regelmäßig tragen. Auf der einen Seite sind es ältere Damen, Ehefrauen von Regierungsbeamten, Diplomaten und Persönlichkeiten aus der Wirtschaft, und gelegentlich einmal eine Geschäftsfrau. Auf der anderen Seite sind es Flugbegleiterinnen, Bedienungen in Restaurants und Bars sowie Prostituierte, die alle meistens nicht mehr als dreißig Jahre alt sind.
Generell kann man sagen, daß je weniger distinguiert die Position ist, desto höher der Schlitz hinaufreicht, wie etwa bei Suzy Wong. "Bei Frauen, die in, wie wir es nennen, 'speziellen Geschäftsbereichen' (特種營業 T'e-chung Ying-yeh) tätig sind, kann der Schlitz bis zu 25 Zentimeter über Kniehöhe gehen", erläutert Lu Cheng (呂政), ein 66jähriger Ch'i-p'ao-Schneider und Dozent an der Chinesischen Kultur-Universität, worauf er in gestrengem Ton hinzusetzt: "Der echte Ch'i-p'ao ist das aber nicht! Das ist ein von den Filmen beeinflußter Stil."
Lu verweist auch darauf, daß der althergebrachte Ch'i-p'ao wie ein Futteralkleid gerade am Körper herabhing und ihn nicht berührte. Die den Körper umschmeichelnde Silhouette ergab sich erst später durch den Einfluß Shanghais, wo die Frauen mehr auf Schick achteten und von westlichen Modevorstellungen angetan waren. Über die Jahre hinweg entwickelte sich der enganliegende Ch'i-p'ao von einer von der Gesellschaft als lose und unmoralisch angesehenen Aufmachung zu einer beliebten und allgemein akzeptierten Gewandung.
Yang Wei (楊威), Generalsekretär des Nationalen Verbandes für Trachten, kann sich erinnern, daß der Ch'i-p'ao so populär gewesen war, daß er in den sechziger Jahren sogar den Minirock überlebte. Sein Saum ging einfach mit dem Trend nach oben. Damals gab es alleine in Taipei mehr als zweihundert Geschäfte, die Ch'i-p'ao von der Stange verkauften oder maßschneiderten. Letztere waren meist für formelle Anlässe gedacht; diese Kundschaft setzte sich überwiegend aus Gattinnen von Diplomaten und hochrangigen Regierungsbeamten zusammen.
Doch mit dem Aufkommen von Warenhäusern und ihren Regalen voller Konfektionskleidung kam das Ende für den Ch'i-p'ao. "Immer mehr Frauen wurden berufstätig", ergänzt Yang. "Verständlicherweise wollten sie etwas Bequemes und bevorzugten Kleider westlichen Stils. Der steife Kragen und die enge Taille erschwerten ihnen das Bewegen. Und außerdem läßt es sich in westliche Kleider viel einfacher hinein- und wieder herausschlüpfen. Wenn eine Frau doch mal einen Ch'i-p'ao brauchte, dann kaufte sie einen von der Stange."
Mehr als die Hälfte der traditionellen Schneider in Taipei schauten sich nach anderen Möglichkeiten für einen Lebensunterhalt um. Einige jedoch, wie Lu Cheng, Inhaber des King Men Dress Shop, widerstanden der verzweifelten Lage und fuhren fort, die eleganten Kleider anzufertigen. "Das ist mein Lebensinhalt", sagt er. Im Alter von elf Jahren begann der aus Hangchow, der Hauptstadt der Provinz Chekiang, stammende Lu die dreieinhalbjährige Schneiderlehre. Danach drückte er wieder die Schulbank und machte schließlich seinen Abschluß an einem Lehrerkolleg. Er zog nach Shanghai, wo er an einer Grundschule Mandarin-Chinesisch und Geschichte unterrichtete. Später trat er in die Armee ein und kam 1949 nach Taiwan. Drei Jahre später nahm er seinen Abschied von der Armee und begann mit der Schneiderarbeit.
Das westliche Interesse an chinesischem Design ermutigt Designer aus Taiwan, bei ihren Kreationen populäre chinesische Formen zu verwenden, wie bei dieser Schöpfung von Tsai Meng-hsia zu erkennen ist.
Zuerst führte Lu das Bekleidungsgeschäft alleine. Doch nicht lange und er hatte ein Team von zwölf Schneidern, die ihm halfen, mit den Bestellungen nachzukommen. Seine Kundinnen waren die Gattinnen von Beamten aus dem Außenministerium. "Ich habe keine Reklame gemacht", sagt er dazu. "Sie hatten einfach durch ihre Freundinnen von mir gehört." Ruf und Kundschaft nahmen zu und führten zu einer Einladung, an der Chinesischen Kultur-Universität zu lehren. Derzeit arbeitet er an einem umfangreichen Projekt, einem Buch über die Geschichte der chinesischen Bekleidung, das auf seinen Forschungen auf Taiwan und Festlandchina basiert.
Die meisten der traditionell orientierten Ch'i-p'ao-Schneider in Taipei sind vom Festland, und sie folgen entweder dem Shanghaier oder dem Fu-chou-Stil. "Der Shanghaier Stil ist auffällig, und die Stickereien an seinen Säumen sind komplizierter", erklärt dazu Yu Hsiu-yeh (余秀椰), der 61jährige Inhaber des Shanghai Dress Shop in Peitou, ein Vorort im Norden Taipeis. Darüber hinaus ist er Lehrer für chinesisches Design am Shih Chien-Kolleg. Yu lernte als Jugendlicher das Anfertigen von Ch'i-p'ao in Hangchow und Shanghai. Im Jahre 1949 kam er nach Taiwan, um sich mit einem älteren Bruder zusammenzutun, der in Hsimenting, damals das Wirtschafts- und Modezentrum Taipeis, ein Bekleidungsgeschäft eröffnet hatte. Yu arbeitete für seinen Bruder, bis er 1961 in Peitou sein eigenes Geschäft aufmachte. Er hatte sich eine gute Gegend herausgesucht, denn in der Nachbarschaft lagen zwei Hausblöcke, in denen Beamte des Außenministeriums wohnten. Und wie Lu Cheng hatte auch Yu eine Werkstatt mit mehreren Schneidern.
Das war einmal. Yu ist heute schon seit einigen Jahren alleine. Wo sind all die Schneider hin? "Die älteren sind verstorben oder auf das Festland zurückgegangen", sagt Yu, "und die jüngeren haben einträglichere Beschäftigungen gefunden." Einige seiner ehemaligen Schneider, fügt er hinzu, sind jetzt Gipser, Maurer, Taxifahrer oder Seeleute. "Um einen Ch'i-p'ao anzufertigen, bedarf es einer guten Hand für das Nähen, die Stickereien und die Verschlüsse", erläutert er. "Es erfordert soviel Sorgfalt und Geduld, und dabei leiden auch die Augen. Und sehr wenige junge Leute halten es für lohnend, drei Jahre lang für den Erwerb von Fähigkeiten aufzuwenden, die nicht unbedingt ein gutes Auskommen versprechen." Vor zwanzig Jahren erhielt Yu monatlich gewöhnlich vierzig bis fünfzig Aufträge für einen Ch'i-p'ao, doch heute kann er sich glücklich schätzen, wenn er zwischen drei und fünf Bestellungen pro Monat bekommt.
"Es ist nicht so sonderlich hart, damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen", meint dagegen Tang Fa-sheng (唐發生), Inhaber des Chung Chien Chinese Dress Store. Tang zufolge werden erfahrene Schneider pro Stück bezahlt und können im Monat umgerechnet etwa 1450 US$ bis 1800 US$ verdienen, und wenn sie flink sind, dann sogar bis zu 2500 US$. Schnelligkeit muß nicht unbedingt zu Lasten der Qualität gehen. "Die Lehrlinge, die monatlich etwa 500 US-Dollar verdienen, machen das Nachbessern und legen letzte Hand an", erklärt er.
Tang begann seine Lehrzeit im Alter von zwölf Jahren in seiner Heimatstadt in der Provinz Hu-nan. Er lebte und diente die erforderlichen dreieinhalb Jahre im Hause seines Meisters. "Ich stand in der Morgendämmerung auf", erinnert er sich, "und meine erste Verrichtung war, Wasser für die Familie zum Gesichtwaschen und Mundausspülen zu holen. Nach dem Frühstück ging ich dann mit meinem Meister zu den Kunden." Es war damals allgemein üblich, daß der Schneider im Haus des Kunden arbeitete. Es war die Aufgabe des Lehrlings, die Schneiderutensilien dorthin zu bringen und sie mit einer Präzision, die an einen Operationssaal denken läßt, bereitzulegen. Dann stand er dabei und sah zu, wie der Schneider Maß nahm, Muster und Stoffe zurechtschnitt und nähte.
Tang diente in der Armee, als er 1949 nach Taiwan kam. Er war erst als Schneider angestellt, bevor er 1959 in Taipei sein eigenes Bekleidungsgeschäft eröffnete. Als das Geschäft blühte, beschäftigte Tang elf Schneider. Er entwarf die Uniformen für die Mitarbeiter einer Reihe von Regierungsorganisationen. Von 1959 bis 1972 war er der alleinige Ch'i-p'ao-Designer für China Airlines. In den frühen Siebzigern entwarf er die Uniformen für die Angestellten des Grand Hotels und des Nationalen Palastmuseums. Jetzt arbeitet er genau wie Yu alleine.
Die geringe Zahl traditionell arbeitender Schneider erregt Besorgnis. So schreibt Yang Chen-kuei in einem "Handbuch der chinesischen Bekleidung": "Das Schneiderhandwerk war ein anerkannter Beruf, der sich bezahlt machte. Nur gutaussehende und intelligente Männer, die auf eigenen Füßen standen und flinke Hände hatten, waren erwünscht. Nun, da das Geschäft mit maßgeschneiderter Kleidung traditionellen Stils am Eingehen ist, wenden sich die erfahrenen Schneider anderen Beschäftigungen zu, und neue Kräfte sind nirgends zu finden. Junge Leute betrachten das Schneidern als harte Arbeit mit einem unsicheren Einkommen. Der Schneider mit handwerklichem Hintergrund ist heutzutage eine Seltenheit."
Gefragt nach dem Grund, weshalb die meisten der älteren Schneider Männer sind, erklärt Yang, daß das Schneidern einst eine Familie gut versorgen konnte. "Ein Sprichwort sagt: 'Eine Fähigkeit ist mehr wert als tausend Kilo Gold.' Außerdem mußte ein Lehrling weit weg von zu Hause leben und Arbeiten verrichten, die Kraft erforderten. Das war eine Sache, die für Mädchen nicht angemessen war", ergänzt er.
Doch scheint es, als erlebe der Ch'i-p'ao in den neunziger Jahren ein Comeback. Obwohl im allgemeinen nur bei Frauen über Mitte Dreißig beliebt, ist die Rückkehr zu diesem Kleidungsstil, wenngleich nur für formelle Anlässe, von Bedeutung. Denn sie gehören zu der Generation, die den Ch'i-p'ao in den siebziger und achtziger Jahren überwiegend links liegen gelassen hatte. Chang Hsiao-yueh (張小月), eine 37jährige leitende Spezialistin im Außenministerium, meint dazu: "Ich trage den Ch'i-p'ao nicht etwa, weil ich für die Regierung arbeite, sondern weil er elegant ist und nie aus der Mode kommt." Chang trug ihren ersten Ch'i-p'ao, als sie 1975 die Universität abschloß.
Allerdings gibt es auch nicht mehr viele Gemeinsamkeiten zwischen dem Ch'i-p'ao, den die Frauen von heute anziehen, und dem schwerfälligen Kleid, das ihre Großmütter trugen. Den modernen Ch'i-p'ao gibt es in vielen Farben und Ausführungen, er ist angenehm zu tragen, pflegeleicht und in vielen Preislagen zu haben. "Er wirkt eigentlich eher aktiv und modisch", urteilt Tsai Meng-hsia (蔡孟夏), Präsidentin der Long Light Corporation, dem größten Ch'i-p'ao-Hersteller auf Taiwan.
"Wir brauchen eine moderne Nationaltracht!" Das war die Parole, die Hsieh Tung-min (謝東閔), der erste Rektor des Shih Chien-Kollegs für Hauswirtschaft, vor 18 Jahren einer Abschlußklasse von Modedesignern, darunter Tsai, mit auf den Weg gab. "Ich habe all die Jahre hindurch an seine Worte gedacht", sagt sie, "und sie haben die Richtung beeinflußt, in die sich meine Designs entwickelten."
Tsai hatte zehn Jahre lang an Schneiderschulen unterrichtet, aber weil ihr das zu langweilig wurde, gab sie ihre Lehrtätigkeit auf und blieb zu Hause, wo sie sich um die Familie kümmerte. Während sie für ihre beiden Kinder sorgte, bekam sie von Nachbarn mehr und mehr Aufträge für Ch'i-p'ao. "Doch ich habe es gehaßt, mir sagen zu lassen, was ich zu machen hätte, und wie", fährt sie fort. Deshalb begann sie, ihre eigenen Entwürfe anzufertigen, Stoffe auszuwählen und sie zu einem Schneider zu bringen, der sie zusammennähte. Sie variierte ihre Designs je nach Alter, Figur und sozialem Status einer von ihr erdachten Frau. Dann ging sie von Geschäft zu Geschäft, wo sie erreichte, daß man die Kleider in Kommission nahm. Tsai war nicht gerade sicher, ob sie sich verkaufen würden. Doch schon bald kam eine Flut von Bestellungen herein.
Als dann Tsai 1965 in Taipei ihre Firma Long Light gründete, hatte sie einen winzigen Laden, mit zwei Schneidern. Long Light gedieh, obwohl das Geschäft mit traditioneller Kleidung stark zurückging. Heute hat das Unternehmen zwei Boutiquen und vierzehn Verkaufsstellen in Frauenbekleidungsgeschäften und Kaufhäusern auf ganz Taiwan. Etwa 150 Angestellte sind in der Produktion beschäftigt, darunter 4 Designer, 5 Zuschneider und 50 Schneidermeister. Hauptprodukt der Firma ist der Ch'i-p'ao. Daneben werden andere traditionelle Kleidungsstücke in moderner Ausführung hergestellt.
Was ist so besonders an Tsai's Ch'i-p'ao, daß ihre Unternehmung auf einem Markt blüht, wo andere offenbar mit einer anhaltenden Nachfrageschwäche konfrontiert sind? Sie erklärt es so: "Mir wurde klar, daß es nur eine Möglichkeit gab: nämlich dieses Kleid so zu gestalten, daß es erschwinglicher ist und dem aktivitätsbetonten Alltag der Frauen von heute entspricht. Es sollte zu formellen wie zwanglosen Gelegenheiten passen. Und der Ch'i-p'ao ist in der Tat der beste Kleidungsstil, den die zierliche chinesische Frau tragen kann. Die durchgehende vertikale Linie läßt sie größer und schlanker erscheinen."
Tsai verweist auf die Neuerungen am Ch'i-p'ao von heute. Die alte Methode des Zusammennähens von zwei Stoffteilen ist durch den figürlichen Schnitt ersetzt, dem die Linien des Körpers zugrunde liegen, so daß der Stoff sanft über die Rundungen von Brust, Taille und Oberschenkel fällt. Beim neuen Ch'i-p'ao werden auch Stoffe verarbeitet, die knitterfrei sind und nicht leicht Flecken annehmen. Synthetische Fasern, Strick und Mischungen aus Naturfasern und Polyester sind an die Stelle von Seide und Satin getreten. Die Kragen sind weicher und schmiegen sich unterhalb der Kehle an den Hals. Die Stickereien werden maschinell gefertigt oder ganz weggelassen, und Accessoires wie die verzierten, stoffbespannten Drahtspangen wurden durch Knöpfe und Reißverschlüsse ersetzt. "Dies nicht, um es einfacher zu machen für den Schneider", versichert Tsai. "Bequemlichkeit und Flexibilität sind die beiden wichtigsten Anforderungen an einen modemen Ch'i-p'ao."
Rot ist weiterhin die Farbe für feierliche Anlässe, doch gibt es den Ch'i-p'ao nun in vielen Farbkombinationen, von gemessen und ernst bis hin zu modisch und ausgefallen. So ist beispielsweise Tsai's neueste Kollektion für formelle Anlässe aus geblümten Stoffen sowie solchen mit Kombinationen von Schwarz und Pfirsich gefertigt. Die Freizeitkollektion besteht aus in unterschiedlicher Farbintensität gefärbten Ch'i-p'ao mit dazu passenden Mänteln. Im Rückblick zeigt sich in der Tat, daß die Designs von Long Light die saisonalen Farbwechsel der internationalen Modeszene widerspiegeln.
Und tatsächlich ist Tsai's nächstes Ziel der Eintritt in den internationalen Markt. Der 1988er Wettbewerb für "Miss Universe" hat ihr bereits weltweit Publizität gebracht, denn sie hatte den Ch'i-p'ao für den Wettbewerb entworfen. Um sich auf den größeren Markt einzustellen, hat Long Light eigens Abteilungen für Planung, Werbung, Vermarktung und Buchführung geschaffen. Das Unternehmen hat sich auch gegenüber seinen Mitarbeitern eine moderne Einstellung zu eigen gemacht. "Angestellte wie Arbeiter sind wichtig für den Erfolg von Long Light", betont Tsai. Die Arbeitsplätze in dem vierstöckigen Firmengebäude am östlichen Stadtrand von Taipei sind hell, geräumig und klimatisiert. Tsai bietet ihren Schneidern auch Verpflegung und Unterkunft.
In den Regalen der Unternehmensbibliothek stapeln sich aktuelle Ausgaben internationaler Modemagazine. "Auch wenn der Ch'i-p'ao etwas Chinesisches ist, so können wir dennoch nicht weltweite Trends ignorieren", kommentiert Tsai. Doch ist die Distanz offenbar gar nicht so groß. Viele internationale Designs zeigen bereits einen starken orientalischen Einschlag. Tsai meint, daß Bernardo Bertoluccis Film "Der letzte Kaiser" in beträchtlicher Weise zu einem größeren Interesse an chinesischer Kleidung beigetragen hat. Die prachtvollen Kostüme der Mandschu verliehen den Szenen über das Leben in der Verbotenen Stadt und den Fall der Ch'ing-Dynastie eine unvergeßliche Anschaulichkeit und Authentizität.
Dieses westliche Interesse an chinesischem Design hat viele Designer auf Taiwan ermutigt, traditionelle chinesische Kleidungsstile neu zu interpretieren und in ihren Entwürfen bei den Details populäre chinesische Formen und Motive zu verwenden. Tsai Meng-hsia äußert sich zufrieden über diesen Trend: "Es wäre doch paradox, wenn der Ostwind aus dem Westen blasen sollte. Das war eine Lektion für uns alle." Wieder einmal überdauert der Ch'i-p'ao, indem er sich den Zeiten anpaßt und doch seinen traditionellen Reiz bewahrt.
(Deutsch von Martin Kaiser)